Unsterblichkeiten

Folge 4 vom 12.05.2010


Inhalt:

    - Uralte Pharaonen,
    - Sterbensängste

    - eingefrorene Verwandte.


Unlängst habe ich das Tal der Könige besucht. Sie wissen das sicher: In der Antike lagerte man dort tote Pharaonen. Heute dagegen begafft man die Mumien im Nationalmuseum in Kairo.

Aber eben nicht alle. Nein, einer liegt noch hier: Tutanchamun, der pubertierende Jungpharao. Archäologen erzählen ganz gern, dass sein mumifizierter Körper vollständig erhalten sei. Vor Ort konnte ich nur feststellen, dass Archäologen eine sehr seltsame Körperwahrnehmung haben. Sagen wir es diplomatisch: Selbst für einen Nordafrikaner wirkt der Knabe etwas dunkel.

Aber sei‘s drum: In der Vorzeit der Pharaonen pflegte man die Toten also nicht zu begraben, sondern zu konservieren. Und jetzt kommen wir zum Kern: Neuerdings ist das wieder modern! Sie glauben mir nicht? Doch. Es ist en vogue, sich nach dem Verscheiden unheilbar einfrieren zu lassen. Kryonik nennt das der Fachchinese.

Ein Kryoniker namens Michael Saxer wirbt auf seiner Homepage:

„Man stirbt nicht von einer Sekunde auf die andere, nur weil das Herz aussetzt oder die Gehirntätigkeit stoppt. Sie sterben nach und nach - Sie verwesen langsam in der Leichenhalle und die letzten Erinnerungen verschwinden für immer, während Sie unter der Erde vermodern.“

Im Vanitas-Stilleben des 17. Jahrhunderts sagte man dazu: „Memento mori!“ Also: „Gedenke dessen, dass Du sterblich bist.“ Saxer jedoch geht in seiner Verweigerung des Jenseits einen kleinen, aber entscheidenden Schritt weiter: Wir könnten, meint er, sogar dann noch denken, wenn wir schon tot wären. Auf die Umstände käme es eben an!

Zugegeben, die Vorstellung hat etwas Morbides. Indessen liegt, wie Gunther von Hagens „Körperwelten“ bewiesen haben, die Ästhetik der Gegenwart gerade im Morbiden. Plastinierte Körper sind das Non-Plus-Ultra der Gegenwartskunst. Und Verwandte einzufrieren, soviel ist sicher, zeugt in spektakulärer Weise von einem mindestens ebenso fragwürdigen Geschmack.

Aber es wäre doch leichtfertig, eine derart substanzielle Todesverweigerung als reine Geschmackssache zu behandeln. Zu verständlich ist es, dass jemand nach einem Leben im Sekundentakt eine gewisse Abneigung gegen die Selbstauflösung hegt. Etwas Mitgefühl ist da angebracht. Oder anders gefragt: Hat da jemand sogar mehr, als nur die übliche Angst vor der Vergänglichkeit?

Die Idee ist jedenfalls von den ägyptischen Mumien inspiriert:  Nichtverwesung als erster Schritt zur Unsterblichkeit. Man sieht uns sozusagen an, dass wir geistig noch voll da sind. Der Kryoniker ist demzufolge nicht nur ein kreativer Bestatter, sondern steht sogar in direkter Tradition des Einbalsamierers.

Indes ist zu befürchten, dass das der Wirklichkeit nicht nur metaphorisch sehr nahe kommt. Es scheint, vom lebendigen Standpunkt aus, dann doch eher unwahrscheinlich, dass gefrorene Leichen wirklich weiterverwertet werden.

Zwar gibt es passable Gründe, sich selbst posthum einfrieren zu lassen, aber leider überhaupt keinen Grund, andere wieder aufzutauen. Ganz im Gegenteil: Schon die Vorstellung, es zu können, hat etwas ungemein Lästiges. Oder wollen Sie sich vorstellen, wie ihr Urgroßvater über ihren Lebenswandel denken würde? Ein endloser, moralischer Vortrag, der immer mit der rhetorischen Frage endet: „Was machst Du mit meinem sauer verdienten Geld, Du Schmarotzer?“ Nein, ich glaube nicht, dass irgendwer so direkt mit seinen Urahnen konfrontiert werden will.

Die Kelten, in dieser Hinsicht phantasiebegabter als die Ägypter, fesselten unlängst Verstorbene sicherheitshalber in ihre Gräber. Nicht nur, dass die Kelten der Auferstehung keinen Vorschub leisten wollten, die Rückkehr ins Dasein sollte sogar um jeden Preis vermieden werden. Man war sich der Konsequenzen bewusst.

Unbezahlbar wäre der aufgetaute Patriarch indessen für Daily Soaps. Stellen wir uns das vor: Nachdem der hinterhältige Verschwörer (Mr. X - böse) den Chef (Mr. Sunnyboy - gut) per Intrige ins Jenseits befördert hat, kehrt dessen Geist als wandelnde Mumie zurück, um den Schuft zu überführen. Ja, das ließe sich machen. Und es hätte etwas ungemein Ägyptisches.

In der Geschichte geschieht eben alles zwei Mal: Einmal als Tragödie und einmal als Farce. Für alle, die zweifeln: Wir leben im Zeitalter der Farce!

von Gerald Reuther.

 

Zur Übersicht: Erinnerungen an die Zivilisation >>

Nächste Folge: Alles wie immer>>